Politik

Neue Bücher: Wie Rechte den Rechtsstaat immer mehr gefährden

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Ein Bild einer Reichsbürgerkundgebung im August auf dem Magdeburger Domplatz.

Ein Bild einer Reichsbürgerkundgebung im August auf dem Magdeburger Domplatz.

Foto: Heiko Rebsch / dpa

Essen.  Lesart-Debatte im Grillo-Theater Essen: Zwei Sachbücher zeigen, wie unsere Demokratie in ihrem Fundament und von innen ausgehöhlt zu werden droht.

Als am 7. Dezember vergangenen Jahres die Polizei mit 3000 Beamten zu einer Razzia ausrückte, um das rechtsextreme Netzwerk um den Prinzen Heinrich aus dem Fürstenhaus Reuß unschädlich zu machen, war ein neues, grelles Schlaglicht auf die Reichsbürger-Bewegung geworfen. So skurril „Heinrich XIII.“ und die von seiner „Patriotischen Union“ verbreitete Verschwörungsideologie anmuteten, so erschreckend konkret waren deren Umsturzpläne mit Bundestags-Erstürmung und Politiker-Exekutionen.

Die Rede vom „Rentner-Putsch“ erwies sich im Laufe der Ermittlungen als gefährliche Verharmlosung. Unter den verhinderten Putschisten, die vom Generalbundesanwalt als terroristische Vereinigung eingestuft werden, waren zwei ehemalige ranghohe Offiziere der Bundeswehr, ein aktiver Soldat aus dem Kommando Spezialkräfte (KSK) sowie ein ehemaliger Kriminalkommissar. Und 23 der Beschuldigten sind Reservisten der Bundeswehr. Bei der Razzia wurden 97 Schusswaffen sichergestellt

Die Putschisten um den Reußen-Prinzen

Die Zahl der Reichsbürger in Deutschland wird vom Bundesinnenministerium derzeit auf 23.000 geschätzt – bei rund 40.000 sonstigen Rechtsextremen, einer ähnlich hohen Zahl von Linksextremen und 28.000 islamistischen Extremen. Dabei sind die Putschisten um den Reußen-Prinzen eine Ausnahme unter den Reichsbürgern: Sie bilden selten feste Gruppen, sind eher lose vernetzt, wie Christoph und Sophie Schönberger in ihrem neuen Buch zum Thema feststellen. Reichsbürger bestreiten die legitime Existenz der Bundesrepublik und glauben an den Fortbestand des Deutschen Reiches, des 1871 gegründeten Kaiserreichs oder des Verfassungsstaats von 1918, nicht aber den des „Dritten Reichs“.

Das Fundament dafür legten ausgerechnet Verfassungsjuristen der jungen Bundesrepublik, die von einem Fortbestehen des Deutschen Reichs nach 1945 ausgingen; das sei handlungsunfähig und die Bundesrepublik eine Art Rechtsnachfolger – was vor allem dazu diente, der DDR die Legitimität zu bestreiten.

Reichsbürger verbreiten Verschwörungstheorien digital

Folgt man Christoph und Sophie Schönberger, geht von den Reichsbürgern jenseits konkreter Putsch-Pläne die Gefahr aus, dass sie mit ihren digital verbreiteten Verschwörungsideologien mehr und mehr das Fundament aushöhlen, auf dem unsere Republik beruht: den Glauben an die Legitimität ihres Rechtssystems. Sie kann nicht bewiesen werden, sie ist Konvention und Vertrauenssache gleichermaßen.

In dem gerade erschienenen Aufsatzband „Staatsgewalt“ über rechtsradikale Netzwerke in den Sicherheitsbehörden wird allerdings auch klar, wie gefährdet der Rechtsstaat von innen ist. Von der gescheiterten Aufarbeitung des Attentats von Hanau über das häufige Versagen des Verfassungsschutzes und „Querdenker in Uniform“ bis zu „Rechten in Roben“, die in der Justiz den Rechtsstaat bekämpfen, reicht das Spektrum der geschilderten Fälle.

Das rechtsextreme Netzwerk „Nordkreuz“ sammelte Waffen

Dass rechtsextreme Chats unter Polizeikräften aufgedeckt werden, ist auch in Nordrhein-Westfalen mehrfach bekannt geworden. Alarmierender noch mutet das 2017 aufgedeckte rechtsextreme Netzwerk „Nordkreuz“ rund um einen Kriminalpolizisten in Mecklenburg-Vorpommern an, das „Feindeslisten“ erstellt und Waffen samt Munition für Exekutionen gesammelt hat. Aber offenbar gibt es nicht nur im Norden, sondern in ganz Deutschland rechtsextreme Netzwerke, die sich auf einen „Tag X“ vorbereiten.

Und immer wieder zeigen Ermittlungen bei rechtsextremen Attentaten, dass sich die Rede von „Einzeltätern“ als haltlose Vernebelung herausstellt. Es ist gerade die in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und die Justiz hineinreichende Vernetzung Rechtsextremer, die zu einer Dauergefahr geworden ist. Und „es sind die Dammbrüche im Alltag und die Gewöhnung daran, die den demokratischen Rechtsstaat erschüttern“, schreiben Heike Kleffner und Matthias Meisner im Vorwort des „Staatsgewalt“-Bandes.

Immerhin: Im Frühjahr 2024 soll es den dritten Bericht des Verfassungsschutzes über Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden geben. Aber die Verfolgung von rechten Vergehen und Straftaten in Sicherheitsbehörden, auch das zeigt dieser Band, mündet oft eher milden Konsequenzen.

>>> Zwei neue Sachbücher und eine Debatte im Grillo-Theater <<<

– Christoph und Sophie Schönberger: Die Reichsbürger. Ermächtigungsversuche einer gespenstischen Bewegung. C.H.Beck, 189 S., 18 €.

– Staatsgewalt. Wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern, hg. von Heike Kleffner/Matthias Meisner. Herder, 345 S., 24 €.

Beide Bücher sind Thema des nächsten „Lesart“-Abends , den der Deutschlandfunkkultur im Essener Grillo-Theater aufzeichnet: 28. November, 20 Uhr. Eintritt: 8 €.

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