G20

Die russische Ansage auf Bali: Wir brauchen den Westen nicht

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NRZ-Kommentar_Jan Jessen

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Foto: Jan Jessen / funkegrafik nrw

Sergej Lawrow hat nicht aus Angst vor Annalena Baerbock den G20-Gipfel verlassen. Es war eine Botschaft an andere Länder.

Sergej Lawrow ist als Diplomat so erfahren wie kein anderer seiner Kolleginnen und Kollegen im Kreis der Außenminister der G20. Kritik perlt an ihm ab. Es wäre also vermessen zu glauben, dass der russische Außenminister aus Angst vor der Replik der deutschen Außenministerin auf seine Rede den Sitzungssaal im indonesischen Bali verlassen hat.

Tatsächlich war das ein wohlüberlegter Eklat mit zweierlei Stoßrichtung: Lawrow hat den westlichen G20-Staaten gezeigt, dass es Moskau mittlerweile egal ist, was in den Hauptstädten in Berlin, Washington oder Paris von dem russischen Angriffskrieg gehalten wird; bereits am Vorabend hatte sein Präsident Wladimir Putin in einer Rede im russischen Staatsfernsehen aus seiner Verachtung für den Westen keinen Hehl gemacht. Zweitens hat Lawrow signalisiert, dass Moskau das G20-Format für überholt hält. Das kann er mit breiter Brust tun.

Unter den G20 sind Staaten wie China, Indien, die Türkei oder Südafrika, die das westliche Sanktionsregime gegen Russland nicht nur nicht mittragen, sondern – konkret: China und Indien – Energieexportausfälle Moskaus kompensieren, indem sie selbst verstärkt russisches Gas, Kohle und Öl einkaufen. Das Nato-Mitglied Türkei hat mit Recep Tayyip Erdogan einen Präsidenten, der sich in seiner Großmannssucht nicht von Putin unterscheidet, zudem führt Ankara selbst – allerdings ungestraft – völkerrechtswidrige Angriffskriege im kurdischen Norden Syriens durch.

Jenseits der G20 ist die Unterstützung für den Kurs des Westens noch brüchiger. Putin schafft es durch intensive Diplomatie, seine mörderische Politik als antikolonialistischen Widerstand zu verkaufen. Bevor es also im September zum Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der G20 in Bali kommt, sollte sich der Westen vor allem selbst fragen, wie haltbare Allianzen gegen den russischen Angriffskrieg geschmiedet werden können.

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