Interview

Minister Krischer in Iserlohn: Wolf kann auch Hilfe sein

| Lesedauer: 17 Minuten
NRW-Umwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer beantwortete gerne die Fragen von Carsten Menzel (li.) und Torsten Lehmann.

NRW-Umwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer beantwortete gerne die Fragen von Carsten Menzel (li.) und Torsten Lehmann.

Foto: Jana Haase

Iserlohn.  Wo der Wolf hilfreich sein kann, wie es mit der A 46 in Hemer weitergeht und warum sich Oliver Krischer sonst noch über Volker Wissing ärgert.

In der schwarz-grünen NRW-Landesregierung hat er seit gut einem Jahr zwei Ressorts unter sich vereint, die dadurch nach seinen Erfahrungen viel besser und effektiver zusammenarbeiten als zuvor. Aber nicht nur dazu stand Oliver Krischer, Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, im Wichelhovenhaus IKZ-Chefredakteur Torsten Lehmann und Redakteur Carsten Menzel Rede und Antwort.

Sie sind bei Ihrem Besuch in Iserlohn mit dem Rad unterwegs gewesen. Welchen Eindruck haben Sie dabei gewonnen, vor allem vom Radweg auf der alten Bahntrasse, dessen Vorfahrtsberechtigung kürzlich erst einen Sturm der Empörung ausgelöst hat.

Minister Oliver Krischer: Der Radweg auf der alten Bahntrasse ist schön geworden. Eine der Querungsstellen ist allerdings so ein Beispiel über die Absurdität unserer Straßenverkehrsordnung, wo für wenige Meter ein Gehweg gebaut werden muss, um einen getrennten Geh- und Radweg über eine Straße führen zu können. Das ist typisch deutsch, weil nur so können Sie die StVO überlisten. Das würde jetzt wieder in mein reichhaltiges Repertoire von Beispielen gehören, die wir (die Länderverkehrsminister, Anm. d. Red.) mit Herrn Wissing diskutieren müssen. Wir müssen einfach die StVO an ein paar Stellen so ändern, dass die Kommunen vor Ort entscheiden können, was sie und wie sie es machen wollen, und dann aber natürlich auch die Verantwortung dafür übernehmen.

Wenn bei einer im Grunde kleinen Maßnahme schon so ein Aufschrei kommt, wie wollen Sie dann als grüner Verkehrsminister die Verkehrswende schaffen?

Wenn Sie Strukturen verändern, die die Menschen über Jahrzehnte gewohnt waren, gibt es immer Diskussionen. Ich glaube aber: Wenn man einen klaren Willen und ein klares Ziel hat, kommt man auch mit den Menschen klar, die erst eine kritische Haltung haben. Man sieht inzwischen in vielen Städten, in denen wir eine neue Aufteilung des Straßenraums bekommen, dass das geht. Das sind immer schwierige Diskussionen, manchmal auch komplizierte Kompromisse. Aber was die innerstädtische Verkehrswende angeht, gibt es eine klare Tendenz, dass es vorangeht. Den Aufruf für mehr Handlungsfreiheit für Kommunen in der Verkehrspolitik haben inzwischen in Deutschland mehr als 800 Städte unterzeichnet. Das würden die Städte ja nicht tun, wenn sie nicht das Gefühl hätten, sie könnten noch was verändern.

Woran merkt man eigentlich, dass wir in Nordrhein-Westfalen einen grünen Verkehrsminister haben?

Das Offensichtlichste ist, dass wir ein Deutschland-Ticket haben. Das hätte es ohne das Zutun NRWs und der Länder überhaupt nicht gegeben. Die zweite große Veränderung ist, dass wir uns auf die Sanierung unserer In­frastruktur konzentrieren. Das müssen zum Beispiel die Bahnfahrenden leider im Moment ertragen mit vielen Zugausfällen und Verspätungen. Das ist nicht schön, aber wir müssen jetzt die Sanierungsversäumnisse der letzten, und ich sage jetzt bewusst, Jahrzehnte aufarbeiten. Das ist kein Problem, das in den letzten zwei Jahren entstanden ist. Wir haben uns lange Zeit nicht richtig darauf konzentriert, unsere Infrastruktur zu erhalten.

Wenn der Fokus auf Sanierungen liegt - was diese Region natürlich besonders interessiert, ist ein bestimmter möglicher Neubau: der Lückenschluss der A 46 ab Hemer. Wie lässt sich der Streit zwischen Bund, der dafür ist, und Land, das dagegen ist, auflösen?

Ob der Bund tatsächlich dafür ist, weiß ich nicht. Fakt ist: Das Projekt steht im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans, und damit habe ich oder hat das Land eine Planungsverpflichtung. Die nehmen wir wahr, weil wir uns an Gesetze halten. Aber ich lese auch – und an diesem Passus im Koalitionsvertrag auf Bundesebene habe ich noch mitgewirkt –, dass der Bundesverkehrswegeplan überarbeitet werden soll, weil er sehr, sehr viele Projekte enthält, die weit, weit von einer Realisierung entfernt sind. Deswegen hätte ich gerne Klarheit von Bundesseite, ob man wirklich an allen Projekten festhält.

Und vor allen Dingen beim Lückenschluss Hemer-Arnsberg?

Schon 1974 wurde mit den Planungen begonnen. Da war ich im Kindergarten, jetzt bin ich 54. Man sieht also, das Projekt ist schwierig, sonst wäre es ja längst gebaut. Deshalb ist, glaube ich, allen Beteiligten klar: Eine schnelle Realisierung wird es sowieso nicht geben. Wir müssen uns jetzt vor allen Dingen auch um den Erhalt der Infrastruktur kümmern, und deshalb fände ich es richtig, dass der Bund sich um klare Prioritäten kümmert und sagt, was aus seiner Sicht wirklich wichtig und was am Ende nicht so wichtig ist.

Die Verkehrsplanungen für Hemer liefen immer darauf hinaus, dass irgendwann die Autobahn weitergeht, was mit dazu führt, dass die Stadt jetzt quasi täglich einen Verkehrsinfarkt erlebt. Was sagen Sie den Menschen in Hemer?

Das ist eines der Probleme, weil man lange Zeit versucht hat, nur durch Straßenausbau Verkehrsprobleme zu lösen und sich dann auf diese Projekte fokussiert hat. Die Situation ist so, dass dieses Projekt kompliziert, und, wie ich wahrnehme, auch in der Region nicht ganz unumstritten ist, es sehr unterschiedliche Auffassungen dazu gibt und dass es am Ende sehr schwer und sehr langwierig ist, es zu realisieren. Wir sind da im Moment weiter im Linienbestimmungsverfahren, aber das wird für die Verkehrsprobleme keine kurzfristige Lösung bringen.

Ist der A 46-Lückenschluss dann überhaupt noch realistisch?

Die Vergangenheit zeigt ja: Auch zu Zeiten, als Straßenbau noch ganz anders forciert wurde, war es schon schwierig. Die entscheidende Frage ist aber die, ob man in Berlin den Mut und die Kraft hat, den Bundesverkehrswegeplan auf ein realistisches Maß zu reduzieren. Ich will mich – sehen Sie mir das nach als Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen –, da nicht zu äußern, welches Projekt des Bundes entbehrlich ist. Wir werden diese Entscheidung auch für unseren Zuständigkeitsbereich, also für die Landesstraßen, treffen. Die Entscheidung zur A 46/B 7n aber muss in Berlin getroffen werden. Ich habe zu dem Projekt eine private Meinung, aber die tut hier nichts zur Sache. Aber es ärgert mich – und da bin ich nicht der einzige Landesverkehrsminister, der das so sieht –, dass Berlin nicht in den Quark kommt, den Bundesverkehrswegeplan zu novellieren.

Wenn der Entschluss zum Bau einer Straße oder zu deren Sanierung getroffen wurde, muss ja auch das Personal vorhanden sein, um es zu realisieren. Sehen Sie Straßen NRW für die zahlreichen Sanierungsfälle ausreichend gut aufgestellt?

Straßen NRW ist ein, auch wenn man das im Ländervergleich sieht, gut aufgestellter Betrieb. Er hat natürlich immer noch mit dem Weggang der Beschäftigten zur Autobahn GmbH zu kämpfen. Das war ja eine Aufteilung, einmal mitten durch, die eine Hälfte geht, die andere bleibt. Das war dann natürlich erst einmal eine schwierige Zeit, die man aber ganz gut hinter sich gelassen hat. Was uns aktuell fehlt, sind einfach Menschen, vor allem Fachleute. Bei vielem, was vielleicht nicht so vorangeht, wie es sein müsste, liegt es gar nicht mal am Geld, sondern einfach daran, dass uns Personal fehlt. Ich bin froh, dass Straßen NRW inzwischen so modern und so flexibel bei der Ansprache potenzieller Beschäftigter unterwegs ist, von Social Media bis zu besonderer Werbung an Bahnhöfen etc. Und wir bieten dort jetzt auch massiv duales Studium an. Das scheint für viele attraktiv zu sein und ist unter anderem aufgrund der klaren Berufsperspektive eine Erfolgsgeschichte. Aber die Maßnahmen dauern eben auch eine gewisse Zeit, bis sie wirken. Deswegen sind derzeit weiter rund 200 Ingenieurstellen allein bei Straßen NRW unbesetzt.

Und deswegen übernehmen Städte die Planung für Landesstraßen, die ja eigentlich vom Landesbetrieb gemacht werden müsste?

Weil genau das das Problem ist: Dass die Kapazitäten fehlen und wir teilweise auch – das ist jetzt etwa Thema bei den Radwegen –, Priorisierungen haben, die von den Regionalräten anders gemacht werden. Die Städte sagen aber, wir wollen schneller vorankommen. Wir haben an der Stelle etwas von Bayern gelernt: Wir planen Sanierungs- wie Ausbau-Projekte auf Vorrat fertig, um dann, wenn Mittel zur Verfügung stehen, sie auch direkt umsetzen zu können. Das führt dazu, dass wir fertige Pläne haben, wenn außerplanmäßig Geld zur Verfügung steht.

Apropos Geld vom Bund: Lässt Berlin die Länder bei der Finanzierung des Deutschland-Tickets im Stich?

Ja leider, weil bisher die Zusage des Bundes für die Nachschusspflicht für 2024 fehlt. Die Verkehrsbranche – und das finde ich nachvollziehbar –, hat immer gesagt: Wenn wir das so anbieten, brauchen wir eine Garantie, eine Art Versicherung, weil es im Moment noch keine belastbaren Zahlen gibt, wie die Kosten tatsächlich ausfallen. Es war eine klare Vereinbarung, dass Bund und Länder die drei Milliarden Euro hälftig übernehmen, wobei alle davon ausgehen, dass das für 2023 gar nicht in voller Höhe gebraucht wird. Alle 16 Länder haben zugesagt, der Bund bisher nur für 2023. Mich ärgert das ein bisschen, weil sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing bei jeder Gelegenheit für das Deutschland-Ticket feiern lässt.

Wie lässt sich denn aus Ihrer Sicht ein attraktiver Öffentlicher Personennahverkehr auf dem Land organisieren, auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels – immer weniger Einwohner, aber die Wege bleiben ja die gleichen?

Ich bin der Überzeugung, dass man das tun muss, was die Fachleute als intermodale Mobilität bezeichnen, weil es erst einmal wichtig ist, dass das Auto auf dem Land weiterhin und auf lange Sicht eine zentrale Rolle spielen wird. Aber es geht darum, eine Alternative zu schaffen für diejenigen, die das Auto nicht nutzen können oder wollen. Und da gehört es zu unserer Politik, dass wir die Zentren, die es auf dem Land ja auch gibt, an den Bahnverkehr anbinden. Wo das nicht geht, machen wir ein landesweites Schnellbussystem. Da sind wir im Moment mit den Verkehrsverbünden dabei, das zu entwickeln, dass jeder Ort und jede Stadt ab 20.000 Einwohner entweder einen Bahnanschluss hat oder aber eben an das Schnellbussystem angebunden ist. Dazu gehören dann auch Mobilitätsstationen an Bahn- und Busbahnhöfen, wo es Leihfahrräder, Car-Sharing und vieles mehr gibt, um die letzte Meile damit fahren zu können. Und der, wie ich finde, nicht unwichtige dritte Punkt: Gerade auch im ländlichen Bereich steigen, weil sich da in den letzten Jahren deutlich was getan hat, ganz andere Personengruppen aufs Fahrrad um. Da versuchen wir auch, die Infrastruktur so zu schaffen, dass sie nicht über eine vielbefahrene Bundesstraße fahren müssen, sondern dass es da eine vernünftige, sichere Radwege-Alternative gibt.

Sie haben eben beim Thema Planung von Straßenbauprojekten gesagt, dass Sie von Bayern gelernt haben. Orientieren Sie sich bei der vorgesehenen Überarbeitung der NRW-Wolfsverordnung auch am bayerischen Vorgehen?

Nein, denn das, was Herr Söder gemacht hat, hat mit dem bayerischen Wahlkampf zu tun und nicht mit der Lösung des Problems. Teile der Verordnung – da sind sich ausnahmslos alle Fachleute einig – halten vor keinem Gericht in Deutschland stand. Er will eine Abschussgenehmigung erteilen können, sobald ein Wolf weniger als 200 Meter entfernt von einem Haus ist. Deutschland ist so dicht besiedelt, dann schießen sie nach der Vorgabe alle Wölfe ab. Also das ist absurd! Wir hingegen versuchen ernsthaft, was zu tun und was zu ändern. Das ist auf der einen Seite die Bedingungen für die Schäferinnen und Schäfer zu verbessern, etwa wie der Herdenschutz noch praktischer werden kann. Auf der anderen Seite – und vor der Debatte scheue ich mich auch als Grüner überhaupt nicht –, werden wir die Wolfsverordnung so umgestalten, dass man Wölfe, die ganz offensichtlich mehrfach Nutztiere gerissen haben und Herdenschutz-Einrichtungen und Zäune überwinden können, auch entnehmen darf, also dass das nicht nur theoretisch auf dem Papier steht und in der Praxis nie geht. Das ist nach gut einem Jahr Wolfsverordnung, die ich ja von Schwarz-Gelb geerbt habe, dringend erforderlich. Die Wölfe lassen sich identifizieren, weil sie bei den Rissen DNA-Spuren hinterlassen.

Und so lassen sich aus Ihrer Sicht dann auch der Tierschutz und die Interessen der Landwirte vereinbaren?

Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sagen, der Wolf muss weg, sondern der Wolf hat immer zu unserer Tierwelt gehört und kommt jetzt wieder zurück. Wir können nicht sagen, die Afrikaner und die Inder sollen Löwe und Tiger erhalten und wir rotten die Raubtiere aus. Deshalb müssen wir mit dem Wolf klarkommen. Manche finden das schön, andere sind da weniger begeistert. Das Ziel muss sein, Schäden bei den Nutztieren zu verhindern. Es muss doch letztlich darum gehen, dass sich die Wölfe von dem reichhaltigen Wildtierbestand ernähren, den wir ja in unserem Land haben. Der Wolf ist da vielleicht an manchen Stellen sogar eine Hilfe, denn wir haben ja auch erhebliche Probleme mit Wild- und Verbissschäden wegen hoher Wildbestände. Mir hat neulich ein Förster gesagt, er freue sich, wenn der Wolf kommt: Dann wüchsen bei ihm die Bäume vielleicht wieder besser.

Also soll der Wolf auch im Märkischen Sauerland heimisch werden?

Es ist eine wildlebende Tierart, die sucht sich ihren Lebensraum, und wenn es zu große Konflikte gibt, dann muss man eingreifen. Ich bin optimistisch, dass das gelingt, weil es Gegenden in Europa gibt, zum Beispiel weite Teile Italiens, einige Gegenden Spaniens, die auch durchaus dicht besiedelt sind und wo seit Jahrhunderten Menschen und Wölfe miteinander leben. Warum sollen wir das nicht hinkriegen?

Fracking ist ein Thema, das immer mal wieder hochkommt. Gibt es für Sie eine vorstellbare Situation, in der man darauf zurückgreifen sollte?

Ich habe mich intensiv mit dem Thema beschäftigt, und wenn man Fracking in Deutschland machen wollte, würde das einen sehr großen Vorlauf, Investitionen und Jahre des Infrastruktur-Aufbaus bedingen und zu unkalkulierbaren umweltpolitischen Risiken führen. Da ist der Ausbau von erneuerbaren Energien allemal günstiger. Ich sehe nicht, dass wir irgendwo in Deutschland in dem Ausmaß Lagerstätten hätten, dass sie erstens schnell und zweitens in solchen Mengen erschließbar wären, dass Fracking einen ernsthaften Beitrag zur Energieversorgungssicherheit leisten könnte.

Abschlussfrage: In Düsseldorf wird weitgehend geräuschlos regiert. Ganz im Gegensatz zur Ampel-Koalition in Berlin. Wie sehr ärgert Sie das als Grüner, was da in Berlin passiert?

Die öffentliche Wahrnehmung ärgert mich natürlich und das schadet allen demokratischen Parteien! Der Streit in der Ampel überlagert die eigentlich ganz gute Sacharbeit der Berliner Koalition. Es ist eigentlich schade, dass die Koalitionspartner in Berlin es nicht schaffen, offene Fragen intern zu diskutieren und dann zu tragfähigen Lösungen zu kommen. Man hat in Berlin den Eindruck, dass es bei Teilen der Koalition eher darum geht, sich gegen den Koalitionspartner zu profilieren, dass das wichtiger ist als die Sachlösung. Am Ende sieht man ja: Alle drei Fraktionen leiden darunter. Ich bin sehr froh, dass das in Düsseldorf anders läuft, dass wir bei Differenzen intern darüber reden, und das aus dem Verständnis heraus, dass eine Regierung am Ende dann erfolgreich ist, wenn sie gemeinsam auftritt, und nicht, wenn man sich gegen den Partner profiliert.

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