Iserlohn. Es reicht heute nicht mehr, sein Instrument perfekt zu beherrschen, wenn man ein Klassik-Star werden will. Man muss schon auch gut aussehen und eine medienwirksame Ausstrahlung besitzen, wofür heutige Superstars wie David Garrett oder Anja Netrebko der beste Beweis sind. Der junge russische Trompeter Sergej Nakariakov verfügt durchaus über diese beiden Attribute: eine sensationelle Virtuosität auf seinem Instrument, verbunden mit einer jugendlich-attraktiven Erscheinung. Nakariakov verzichtete aber glücklicherweise auf jegliche Art von Mätzchen oder Stargehabe, sondern strahlte beim Spiel eine unglaubliche Ruhe und Intensität aus, die ihn ganz in der Musik aufgehen ließen. Man vermochte es kaum zu glauben, mit welcher Leichtigkeit und Sicherheit er die schnellsten Läufe, die zartesten Kantilenen die strahlendsten Fanfaren und das entrückteste Pianissimo hervorzauberte. Stets in enger Verbindung und Korrespondenz mit dem vorzüglichen Orchester verlieh er der Adaption eines Violinkonzertes von Mendelssohn den Charakter einer Originalkomposition - man konnte sich bei diesem herrlichen frühromantischen Werk kaum vorstellen, dass es mal für ein anderes Instrument komponiert wurde.Und im direkten Vergleich würde man sich dank Nakariakov wohl jetzt für die Trompetenfassung entscheiden.
Natürlich durfte als Höhepunkt der „Karneval von Venedig“, Variationen für Trompete und Orchester nicht fehlen. In dieser Komposition wird das im Deutschen als „Mein Hut, der hat drei Ecken“ bekannte musikalische Motiv ständig variiert, wobei die Intervallsprünge, die aberwitzigen Tonfolgen und rasanten Läufe nur von den größten Virtuosen am Instrument zu realisieren sind. Und Sergej Nakariakov meisterte auch dieses Werk, als sei es eine lockere Warmmachübung. Tosender Applaus und Bravo-Rufe waren somit die nahezu zwangsläufige Folge.
Nicht unerwähnt bleiben soll aber die großartige „Russische Kammerphilharmonie St. Petersburg“, die sich unter ihrem temperamentvollen Dirigenten Juri Gilbo als Streichorchester der Spitzenklasse präsentierte. Sowohl bei der „Streicherserenade“ von Edward Elgar als auch bei Tschaikowskys „Serenade in C-Dur“ konnte man sich an dem absolut homogenen Streicherklang, den wunderbar herausgearbeiteten klanglichen Schattierungen und der dynamischen Bandbreite erfreuen.
Ein Orchester, das weit mehr als ein Begleitensemble für einen großen Instrumentalsolisten war und auch für sich allein einen absoluten Hörgenuss darstellte. Also: eigentlich ein rundum gelungenes und faszinierendes Konzert, wäre da nicht der ebenso irreführende wie missverständliche Begriff „Weihnachtskonzert des klassischen Barock“ gewesen.
Ein irreführender Titel
Mit Ausnahme der als Zugabe auf dem Horn (!) gespielten „Air“ von Bach war das komplette Programm weder barock noch weihnachtlich. Der „Karneval in Venedig“ mutete vor dem Hintergrund einer von Weihnachtsbäumen dominierten Dekoration schon fast peinlich an, und Komponisten wie Elgar , Mendelssohn und Tschaikowsky sind nun mal Romantiker par excellence. Und bei einem barocken Weihnachtskonzert hätte man doch die wunderbaren Kompositionen für Trompete von Bach, Händel, Telemann oder Corelli erwartet.
Aber für diese Überschrift werden weder der sympathische russische Startrompeter noch sein Orchester verantwortlich sein. Sie machten einfach nur wunderschöne Musik und die ließ den „Etikettenschwindel“ schnell vergessen.
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